Dienstag, 3. April 2012

Kein Gleichgewicht bei Spezialisten

Ein erfolgreicher Staat braucht Spezialisten. Schon bei den Ameisen und den Bienen hat sich Spezialisierung als Erfolgsmodell über Millionen von Jahren erhalten. Doch die Individuen in einem solchen spezialisierten Staat zahlen einen hohen Preis, der ihnen im allgemeinen gar nicht bewusst ist. Das gilt auch für den menschlichen Staat.

Wer über längere Zeit hinweg immer dieselbe Teilaufgabe erledigt, bei dem/der verkümmern zwangs­läufig viele andere potentielle Fähigkeiten. Frei lebende Individuen, sowohl Tiere als auch Menschen, haben offensichtlich einen viel größeren Erfahrungsraum, viel mehr Möglichkeiten, sich im Leben zu verwirklichen, als jene, die brav für ihren Staat ihre Aufgabe tun. Spezialisten werden zwar für die bestmögliche Erfüllung ihrer Tätigkeit geachtet. Doch insgeheim liebäugelt manch eine(r) mit dem Allround-Leben eines nicht spezialisierten Wanderers durch alle Welten, was aller­dings erhebliche finanzielle Einbußen mit sich bringt. Zu diesem Leben habe ich mich selber immer mehr bekannt.

Einige Schlussfolgerungen kamen im Laufe der Zeit immer wieder an die Oberfläche, bei denen es mich reizt, sie so etwa wie ein Wiederkäuer zu wiederholen, weil sie mir wirklich wichtig und aber wenig im allgemeinen Denken verankert zu sein scheinen. Die meisten von ihnen habe ich versucht, auf meiner Webseite ars-una.net deutlich zu machen. Aber ich gebe mich keinen Illusionen hin, dass das viele Menschen zunächst einmal wirklich lesen und dann auch noch in eine Auseinander­setzung darüber eintreten.

Über die dort als scheinbar abstrakte Gedanken niedergelegten Überzeugungen hinaus gibt es auch Schlussfolgerungen, die einen direkten Einfluss haben auf die eigene Lebensführung und das, was ich anstrebe. An allererster Stelle steht dabei der Wunsch nach Gleichgewicht zwischen den ver­schiedenen Lebenssphären. Wie ein Wanderprediger habe ich verkündet, dass der Mensch aus einem Kopf, einem Oberkörper, einem Unterleib und Extremitäten besteht. Diesen vier Teilen kön­nen das Wahrneh­men und Denken, Gefühle und Empfinden, Sex und Macht, sowie Aktivitäten und Arbeit zugeord­net werden. Jeder dieser Teile sollte meiner Meinung nach etwa die gleiche Bedeu­tung und den gleichen Anteil sowohl in der Lebensführung als auch bei der Kommunikation unter­einander haben.

Doch wie steht es damit in der Praxis ? Im wesentlichen nur um Wahrnehmen und Denken, oft sogar nur um Auswendiglernen von vorgekautem Wahrnehmen und Denken, geht es in der schu­lischen Ausbildung. Vor allem von Gefühlen und Empfinden wird dagegen das tägliche Leben sogenannter wohlerzogener Kreise beherrscht. Die Bereiche Sex und Macht werden nur hinter vorgehaltener Hand besprochen und in Sperrbereichen ausgelebt. Wer sich dagegen irgendwelchen Aktivitäten widmet oder der Arbeitswelt verschreibt, von dem wird erwartet, dass er oder sie dieses mehr oder weniger als Vollzeitjob tut. Von Gleichgewicht im genannten Sinne ist im allgemeinen keine Rede.

Was heißt das für das praktische Leben ? Lebensführung und Kommunikation haben eng miteinan­der zu tun und beeinflussen sich gegensei­tig. Für beide sollte daher entsprechendes gelten. Nehmen wir uns kurz die vier Bereiche einzeln vor.

Wahrnehmen und Denken sollten überall und während des ganzen Lebens bis ins Alter eine wich­tige Rolle spie­len. Während des ganzen Lebens muss man überall die Möglichkeit haben, dazu zu lernen. Das gilt nicht nur für den Kopf, sondern auch sowohl gefühls­mäßig als im Bereich von Sex und Macht als auch bei Aktivitäten und in der Arbeitswelt. Jeder Mensch sollte die gleichen Mög­lichkeiten haben, sich im Leben und insbeson­dere auch in neuen Lebensbereichen umzuschauen und dazu zu lernen.

Rein gefühlsmäßige Entscheidungen und die von Empfindungen beherrschte Welt der täglichen Lebensführung besagter wohlerzoge­ner Kreise erfordern eine gehörige Portion Skepsis und dürfen nicht als selbstverständlich betrachtet werden. Gute Beobachtung und klares Denken müssen auch von gefühlsbestimmten Menschen täglich trainiert werden. Sex und Macht nehmen bei ihnen oft nur einen verschwindend kleinen Anteil im Leben ein. In welchem Maße Arbeit und Aktivitäten in die­sen Kreisen als vorrangig angesehen werden, ist oft äußerst fragwürdig. Das freie Recht, sebst ent­scheiden zu können, wann und wieviel mann oder frau was arbeiten möchten, ist ein anstrebens­wertes Ziel.

Sexuelle Verhaltensweisen und Machtverhältnisse werden auf ähnliche Weise überaus häufig tabuisiert, was sicher auch von Übel ist. Auf welch problematische Art Menschen umgehen mit sexuellen Problemen wie zum Bespiel der Treue, der Prostitution, der Homosexualität, und ebenso mit fragwürdigen Machtstrukturen, zum Beispiel der ungleichen Behandlung von Min­der­heiten, mafiö­sen Strukturen und den Rechten von jungen und alten Menschen oder gar Tieren, ist oft unglaub­lich. Dies betrifft nicht nur die Lebensführung, sondern ebenso die Kommuni­ka­tion. Sexua­lität kann ein wesentlicher Teil menschlicher Kommunikation sein. Dass gerade heute, wo medizi­nischer Fortschritt die Über­tra­gung von Krankheiten und unerwünschte Schwangerschaf­ten weit­gehend zu vermeiden vermag, diese sogar viel stärker dafür infrage kommt, stößt immer noch auf fast unglaubliche Ablehnung. Und wie in den Medien die Diskussion fragwürdiger Macht­strukturen verhindert wird, ist ein anderes trauriges Kapitel.

In der Arbeitswelt werden Men­schen von den übrigen drei Bereichen isoliert, oder sie schneiden sich bei eigenen intensiven Aktivitäten selbst von ihnen ab, was oft ein rechter Skandal zu sein scheint. Wer sich nicht fast hundertprozentig für seine Arbeit einsetzt, wird ausgegrenzt und hat stark verminderte Chancen. Wie eigene Aktivitäten ebenso übers Ziel hinaus schießen können, dafür seien Computerfreaks und Fußball-Fans als Beispiele genannt. Eigenes Denken hat meist das Nachsehen gegenüber dem, was der Vorgesetzte sagt. Genaues Beobachten dessen, was in der Chef­etage geschieht, ist nicht minder unerwünscht. Gefühle sollen zurück gehalten werden. Sexuel­les im Arbeitsbereich ist sowieso verpönt.

Generell gilt, dass dem sicher nicht unberechtigtem Wunsch nach einer in diesem Sinne gleichge­wich­ti­gen Lebensführung und ebenso auch einer solchen Kommunikation mit unverhohlenem Miss­trauen begegnet wird. In welchem Maße darunter die Lebensqualität leidet, scheint oft kaum bewusst zu sein.

Der Wunsch nach Gleichgewicht betrifft auch die Suche nach einem Verständnis unserer gesamten Welt. Ein völlig übertriebenes Spezialistentum scheint hier ebenfalls zu regieren. Auf der genannten Webseite wird eine gleichgewichtige Bedeutung von Kunst, Religion und Wissenschaf­ten genannt. Diese Frage soll hier nicht erneut erörtert werden. Mit welchen Widerständen auch hier zu rechnen ist, zeigen viele menschliche Erfahrungen und Beispiele, die hier ebenfalls nicht aufgezählt werden. Generell kann aber gesagt werden, dass viele Vertreter eines dieser Gebiete sich zutiefst sträuben, die anderen beiden Gebiete als gleichwertig anzusehen. Das aber erschwert außer­ordentlich die Suche nach einem umfassenden Gleichgewicht bei jedem Versuch, unsere Welt bes­ser zu verstehen.

Wem dieser Ausdruck “Gleichgewicht” zu physikalisch vorkommt, der kann ihn einfach ersetzen durch die Suche nach dem Weg der Mitte, der im religiösen Bereich benutzt wird, oder der Suche nach ausgewogener Schönheit, wie er in der Kunst geläufig ist. Man verzeihe dem Physiker, dass er von Gleichgewicht redet.

Doch der entscheidende Punkt ist der persönliche Verzicht auf Spezialistentum. Mir ist wohl bewusst, dass ein moderner Staat ohne Spezialisten zusammenbrechen würde. Aber ich meine, dass wir es uns leisten können, wenn ein gewisser Teil der Bevölkerung sich von dieser Art einer eher an Sklaventum erinnernden Lebensform zurückziehen kann.

Also im Klartext: Ein Viertel meiner Lebenszeit etwa möchte ich jeweils dem Denken und Wahrnehmen widmen, ein weiteres Viertel den Gefühlen und Empfindungen, durchaus auch weiterhin ein Viertel dem Liebesleben (oh erspart mir eine Diskussion über den Unterschied von Liebe und Sex !) und damit verbunden, den Machtansprüchen, vielleicht gar nicht nur den eigenen, und schlussendlich auch ein Viertel meiner Zeit verbringen mit Aktivitäten, zum Beispiel Reisen und immer auch noch Arbeit, zum Beispel, dass ich jetzt am Computer sitze und diesen Text nach einiger gedanklicher “Arbeit” in dessen Gedächtnis und vielleicht sogar ein ganz wenig in das Gedächtnis anderer Leute transferiere.

Genau dasselbe gilt auch für meinen Wunsch, immer wieder zu versuchen, diese unglaubliche Welt “verstehen” zu wollen. Wer meine Webseite gelesen hat (Überzeugungen), wird wissen, warum ich das Wort “verstehen” in Anführungszeichen gesetzt habe. Doch das Wesentliche sollte sein, dass Kunst, Religion und (Natur-)Wissenschaften drei gleichwertige Beine bieten, damit dieses Vorhaben einen festen Stand hat. So möchte ich mich allen Dreien gleichermaßen widmen. Ein Spezialist wird so verstandenes Gleichgewicht kaum finden.



© Hans. J. Unsöld, 2012

Sonntag, 27. Februar 2011

Omnis Terra

Papa, was unterscheidet den Menschen eigentlich vom Tier ? Nur, dass der Mensch aufrecht gehen und sprechen und vielleicht auch ein wenig besser denken kann, oder gibt es da noch etwas Anderes, was wichtig ist ?

Hm, merkst du nicht, dass ich anders als ein Tier bin ?

Die Mutter kam aus der Küche und mischte sich in das Gespräch ein: Du kannst dem Kind doch schon von der Bibel erzählen. Dort steht doch, was der Unterschied vom Menschen und vom Tier ist.

Mama, ich verstehe die Geschichten am Anfang der Bibel schon nicht richtig. Wie die Welt entstanden sein soll, das ist mir dort wirklich nicht klar.

Na ja, das ist auch etwas kompliziert. Aber du kannst dem Kind doch schon die Geschichte vom Sündenfall erzählen.

Gut, mache ich. Also höre gut zu ! Als Adam und Eva im Paradies lebten, da durften sie nicht die Früchte vom Baum der Erkenntnis essen.

Papa, was ist denn Erkenntnis ? Und warum mussten sie sich denn ein Feigenblatt da unten vor sich halten ? Durften sie damals schon nicht zeigen, wie das mit dem Sex ist ?

Das verstehst du noch nicht. Aber das Wichtige war doch der Sündenfall.

Was hat der denn mit dem Blatt zu tun ?

Also höre gut zu ! Eva durfte doch nicht diese Früchte essen. Ich glaube, vor allem Äpfelchen waren verboten. Und eines Tages kam die Schlange und sagte: Tue es doch !

Und was sagte Eva dann ?

Eva sagte: Ich werde jetzt kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Sie fing an, von Allem völlig offen zu reden. Das durfte ein Mann aber nicht. Du hast doch heute im Fernsehen von Wikileaks gehört, wo auch plötzlich Dinge erzählt worden sind, die man nicht darf.

Ja, das habe ich gesehen. Das gefällt mir genauso gut wie die Simpsons. So ganz verstehe ich das aber immer noch nicht. Das Feigenblatt war doch da unten. Aber bei Wikileaks geht es doch gar nicht so sehr um Sex. Warum hat sie dann gesagt, sie wird kein Blatt mehr vor den Mund nehmen, und warum ist es so schlimm, Dinge zu erzählen, bei denen gar kein Sex vorkommt ?

Sie durfte eben keinen Biss von den verbotenen Früchten riskieren, und hat es dann doch getan,

Was sind denn verbotene Früchte ? Und hat Adam das auch getan ?

Für Adam war das noch viel schlimmer. Als Eva das so gut schmeckte, versuchte er, das Blatt wieder anzubringen. Das sollte keiner merken, - ich glaube, nicht einmal der liebe Gott.

Und dann hat Eva gesagt, sie will kein Blatt mehr vor den Mund nehmen ? Ich denke, das Blatt sollte da unten hin ?

Ach, das verstehst du noch nicht. Was nehmt ihr eigentlich zur Zeit in der Schule durch ?

Den amerikanischen Krieg.

Das kenne ich gar nicht. Worum geht das denn ?

Das geht auch erst mit Sex los. Man soll nicht offen erzählen, was im Privatleben los ist, weil das in der großen Politik alles ähnlich ist.

Das verstehe ich nicht richtig. Kannst du mir das mal genauer erzählen ?

Klar, Papa. Hör mal gut zu !


(Die folgende weitgehend auf eigenen Erlebnissen in Thailand basierende Story ist erstens noch nicht fertiggestellt und zweitens auch für einen Blog zu lang. Wer sich dafür interessiert, kann per eMail anfragen: h.j.unsoeld@gmail.com )

Dienstag, 12. Januar 2010

Nachbarschaft

12.01.2010

Nachbarschaft



In einem Hotel oder selbst in einer Pension werden die Nachbarschaftsprobleme quasi von einem ferngehalten. Meine hiesige Unterkunftsart nennt sich Guesthouse, womit im wesentlichen ein Privatquartier gemeint ist. Mit dem Quartier bekommt man hier das Privatleben mitgeliefert. Um nicht falsch verstanden zu werden : Nicht ein eigenes, sondern das Privatleben der Umgebung, - zumindest den Teil des Privatlebens der um mich herum lebenden Menschen, der nicht völlig privat ist, - manchmal auch ein wenig mehr.

Erst nachträglich habe ich bemerkt, dass es schon nicht ganz unwichtig war, wie ich an dieses Quar­tier gekommen bin. Erst wohnte ich eine Woche in einem Beach Resort, was de facto eine Pen­sion ist. Mir war schon vor Reisebeginn empfohlen worden, während dieser Zeit nach einer mir ange­nehmen billigeren Unterkunft zu suchen. So habe ich also in einem nicht weit von diesem Beach Resort entfernten und mir sympathischen Restaurant gefragt, ob sie mir etwas empfehlen könnten. Sofort wurde einer der jungen Leute, die dort als Bedienung arbeiteten, losgeschickt, um sich zu erkundigen. Er benutzte aber nicht den normalen Zugangsweg, sondern verschwand im Hof und kletterte über eine kleine Mauer zum Nachbarhaus.

Nach einer Weile kehrte er mit einer positiven Nachricht zurück. Ja, dort gäbe es für mich einen freien Platz. Kurze Zeit später wurde ich zu jenem Haus geführt, - nunmehr auf dem Zugangsweg, der um das Restaurant herum zu einem Haus in einem toten Winkel dahinter führte, - in einem Straßennetz würde man das als Sackgasse bezeichnen, - das ein Obergeschoss hatte und frisch weiß gestrichen war. Wie alle Häuser in dieser Gegend lag es unter Kokospalmen, auf welchen munter Raben krächzten und auch allerlei andere Vögel piepten. Als Hausherr empfing mich ein etwa fünfzigjähriger einbeiniger Mann mit afrika­nischen Zügen, in kurzen Hosen, sehr freundlich, und mit klackendem Geräusch auf einer primiti­ven Prothese herum hum­pelnd.

Eine wichtige Rolle spielte, wie lange ich bleiben wollte. Ich wusste inzwischen, dass in der Zeit um Weihnachten und Neujahr hier hohe Saisonpreise genommen werden. Er bot mir verschiedene Räume in seinem Haus an, sowohl im Erdgeschoss als auch oben, alle mit einem als Zugang die­nen­den terrassenartigen kleinen Balkon. Unter anderem zeigte er mir einen Raum auf der Rückseite in der oberen Etage mit Blick auf den dort beginnenden Dschungel, ein aus dieser höheren Perspek­tive durchaus faszinierender Anblick. Doch für diesen gab es bereits eine Hochsaisonbuchung.

Wir einigten uns schließlich auf den zuvorderst im Erdgeschoss liegenden ziemlich großen Raum für 500 Rupien, also etwa 7 Euro täglich, ausdrücklich ohne Preiserhöhung in der Hochsaison. Es könne auch noch eine zweite Person, - „auch weiblich“, sagte er fast feixend, - mit mir wohnen, was aber nicht geschah. Von dort hatte man Blick auf zwei kleine Wohnhäuser und auf die Rück­seite der Mauer hinter dem Restaurant sowie den Zugangsweg, der nicht selten von Motorrädern oder Rollern befahren wurde, wobei deutlich zu bemerken war, dass man sich um Rücksichtnahme bemühte. Ich zog, wie vereinbart, nach Ablauf der im Beach Resort gebuchten Woche ein.

Sogleich bekam ich alle Familienmitglieder vorgestellt. Schnell wurde mir bewusst, dass nicht alles hier ein Honigschlecken war. Seine Frau war vor einigen Jahren verstorben. Sein eines Bein hatte er vor über zehn Jahren bei einem Verkehrsunfall in Saudiarabien verloren, als er dort im Morgen­grauen zur Arbeit fuhr. Von seinen Kindern lebte nur ein Sohn im Hause, aber außerdem noch zwei Söhne und eine Tochter eines verstorbenen Bruders. Alle waren knapp erwachsen, offensichtlich dicht aufeinander geboren. Alle sahen hübsch aus, hatten teilweise sogar wirklich schöne Gesichtszüge.

Kurze Zeit danach begegnete mir auf dem Zugangsweg ein junges Mädchen, das mir, wie hier selten, tief in die Augen schaute und sofort keinen Hehl daraus machte, dass ich ihr gefiel, was mir, wie der mich schon kennende Leser ahnt, auch Freude machte. Aber nichts weiter geschah. Ich überlegte einen Moment, ob das nun die besagte Tochter gewesen war oder nicht, - war mir unsicher.

Nach einer Weile wurde ich aufgefordert, bei meinem Vermieter zu frühstücken. Das sollte ich natürlich nicht als Einladung nehmen, sondern sie waren sichtlich an Zuverdienst interessiert. Ich nahm mehr aus Neu­gier als aus Notwendigkeit das Angebot an. Eben jene Tochter seines Bruders fragte genau, was ich denn gerne haben möchte, und bereitete mir dann, wie ich schon in einem früheren Kapitel berichtet habe, wirklich liebevoll ein schmack­haf­tes Frühstück zu. Es gab getoastete Semmeln mit einer Art Avocadopaste, jedoch mit zermahlenen Garnelen darin, sehr lecker, und mit einem Spiegelei, dazu unglaublich übersüßten Kaffee. Alles wurde auf einen hochbeinigen Hocker mit recht kleiner Sitzfläche vor mich gestellt. Dazu gab es im Fernsehen die BBC News in gewohnter Qualität und zur Wahl Bollywood-Schnulzen auf anderen Kanälen in allen hier geläufigen Sprachen (Konkani, Hindi und Englisch).

Doch viel interessanter als diese Programme, - an manchen Tagen konnte man später auch die Deutsche Welle sehen, was in dieser Umgebung sehr komisch anmutete, - schienen mir die Wohnverhältnisse, - wie schon früher erwähnt, im Detail schwer zu beschreiben. Der hintere Teil des Hauses, wo sie lebten, war wesentlich älter als der vordere moderne Betonanbau, hatte keine Zimmerdecke, sondern direkt das Schindeldach über dem Kopf, und an den Wänden hingen lauter kleine typisch indische Dekorationsgegenstände, - Bildchen, Flitter, kleine bunte Girlanden und anderes mehr. Dahinter lag ein zweiter, nicht voll einsehbarer Raum im Halbdunkel. In diesen beiden Räumen, zusammen kleiner als mein Raum, lebten also alle diese Personen.

Dann kamen in der Zeit gegen Jahresende weitere Gäste, die eine Unterkunft für einzelne Tage oder vielleicht eine Woche suchten. Die Zimmer im Haus waren bereits alle vermietet. Da wurde schnell eine stallartige kleine Hütte neben dem Haus, die sonst wohl als Lagerraum diente, leer geräumt, und all die vielen Leute, die vorher die zwei Räume im alten Teil des Hauses schon in großer Enge bewohnt hatten, zogen in dieses winzige Gebäude. Auch Strom und Wasser war dort installiert. Der dicke Fernseher hatte ebenfalls Platz gefunden und funktionierte wie gewohnt. In den zu meinem eigenen Raum vergleichs­weise primitiven Räumen, die frei gemacht worden waren, übernachteten nun Touristen, die ich kaum zu Gesicht bekam.

Als ich das nächste Mal in die kleine Hütte kam, traute ich kaum meinen Augen. Die Tochter sah auf einmal anders aus. Und dann tauchte hinter ihr lachend die ursprüngliche Person auf. Das zweite, ein wenig größere Mädchen war jenes, das mir vor einiger Zeit auf dem Weg begegnet war. Es war eine eigene Tochter des Vermieters, nicht also seines Bruders. Die beiden schienen etwa gleichaltrig zu sein. Als ich mich nach ihrem Alter erkundigte, über­raschte mich die Antwort sehr. Die etwas kleinere, welche mir auch diesmal wieder so liebevoll ein Frühstück bereitete, und noch fast kindlich wirkte, war achtzehn, die andere, etwas größere und schon sehr feminine, die sich bei der ersten Begegnung so offen gezeigt hatte, dagegen erst fünfzehn. Aber die Stimmung blieb unbefangen, und es gab keinerlei Techtelmechtel. Es stellte sich heraus, dass das jüngere, neu dazu gekommene Mädchen eine Tochter meines Vermieters war, die wegen ihres Schulbesuchs woanders lebte. Leicht verblüfft war ich, als dieser mich danach alleine unverwunden in seinem gebrochenen Englisch sogleich fragte, ob ich seine wohlgemerkt minderjährige Tochter nicht heiraten wolle. Ich überging die Frage.

Ich bekam zu hören, dass eine andere Tochter verstorben war. Wie häufig hier Todesfälle waren !Vor kurzem verstarb auch der Großvater von allen und wurde, wie bereits erzählt, zu Grabe getra­gen. Die beiden Mädchen kamen nicht mit zur Beerdigung, konnten den Anblick des Toten nicht ertragen, und hatten selbst Schwierigkeiten, sich später meine Fotografien von der Zugrabetragung auf dem Computerbildschirm anzuschauen. Sie wagten kaum hinzublicken und wollten sie nicht ein zweites Mal sehen.

Als ich an dieser Stelle mit der Abfassung dieses Textes war, dachte ich, die Verwandtschaftsver­hält­nisse seien so kompliziert, dass ich doch noch etwas genauer recherchieren müsse, wer denn da nun mit wem zusammenhängt bzw. wie sie nun genau alle miteinander verwandt sind. Ich ging also hinüber mit dem Vorwand, dass ich gerne einen Kaffee hätte. Wie erstaunt war ich, als sich dort plötzlich ein drittes Mädchen befand, das den beiden Anderen ebenfalls verblüffend ähnlich sah. Es stellte sich heraus, dass dieses mit 20 Jahren das älteste war. Dann kam ans Tageslicht, dass sie alle irgendeinen verschiedenen Elternteil hatten, - mal eine neue Mutter, mal einen neuen Vater. Die Einzelheiten schienen jetzt unwichtig. Doch das warf für mich ein ganz neues Licht auf diesen Teil der indischen Gesellschaft. Wie weit sich das verallgemeinern lässt, wage ich nicht zu sagen. Aber das nach außen zur Schau getragene prüde Bild erscheint löcherig.

In vollem Kontrast zu diesen Tatsachen, aber wohl verständlich, wachte mein Vermieter argwöh­nisch darüber, dass keines der Mädchen in einen schlechten Ruf kam, etwa dass es allein mit mir zusammen auch nur gesehen würde. Diese wollten gerne auf dem Bildschirm meines Notebooks die Fotos sehen, die ich von ihnen gemacht habe. Sie durften diese aber nicht bei mir ansehen, sondern ich musste mit dem Notebook zu ihnen kommen.

Ich fragte die drei Mädchen, als sie beieinander waren, was sie später einmal machen möchten. Über­einstimmend kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen, dass sie erst einmal in Dubai arbeiten möchten, - und hier wurde der gerade fertiggestellte Burdj Dubai, der mit über 800 Metern höchste Wolkenkratzer der Welt erwähnt, – und dann möchten sie nach Deutschland.

Die Möglichkeiten, den Bereich des Hauses zu verlassen, sind für die Mädchen genau definiert bzw. eingeschränkt. Sie dürfen nur in Begleitung eines anderen Familienmitgliedes fortgehen, und nur an genau festgelegte Orte. Da sind vor allem Geschäfte und Märkte. Der einzige Platz, wo sie außer bei irgendeiner Arbeit ansonsten hingehen können, sind Diskotheken, die also offensichtlich eine wichtige Rolle als sozialer Freiraum und natürlich als Heiratsmarkt darstellen. Aber schon an den Strand zu gehen, ist jenseits des Erlaubten. Niemand kann hier schwimmen, niemand geht baden. Auch die Shacks sind tabu.

Dort herrschen andere Klans. Die Klanstruktur spielt hier noch eine große Rolle. Es gibt durchaus Heiraten von einem Klan in den Anderen. Im Aussehen ähneln sich alle sehr. Aber insgesamt schei­nen hier noch weitgehend Verhältnisse wie zu Zeiten von Shakespeare zu herrschen.

Der Besitzer des Restaurants, der ebenfalls ein Sohn des kürzlich zu Grabe getragenen Mannes ist, gehört mit seiner Frau, die die Tochter des obersten Fischers am Ort ist, also zu demselben Klan wie mein Ver­mieter und die dort leben­den jungen Leute. Vom Aussehen ist klar, dass er eine andere Mutter hat. Er selber kocht übrigens hervorragend, so dass es hier einen guten Ersatz für die nicht mehr so attraktiven Shacks gibt. Wie eng ein Klan zusammen­hängt, lässt sich genau an der Anordnung der Häuser erkennen, an denen häufig hier und da bau­liche Ver­än­de­rungen vorgenommen werden, wobei veränderte persönliche Verhältnisse sicher eine wichtige Rolle spielen. An Hand von Luft­bildern eines solchen Bereiches könnte man genau die Verhältnisse beschreiben oder erkennen. Wichtig ist natürlich, wer wohin zum Beispiel durch welche Hintertür Zugang hat und wo man über die Mauer steigen kann oder darf. Dieser Tage spielte sich in der Nach­barschaft ein großer und lautstarker Familienkrach ab, - ein typischer Streit mit der Schwie­ger­tochter in Konkani-Spra­che, den ich wegen fehlender Sprach­kennt­nisse natürlich im Einzelnen nicht verstand. Aber das war genau solch eine Hintertürbezie­hung. Ich weiß nicht, ob diese Tür nun geschlossen bleibt.

Wie wild hier die Verhältnisse noch sind, bekommt man sehr drastisch bei der Kokosnussernte ver­mittelt. Die Nüsse sind jetzt Anfang Januar zwar noch nicht alle reif, aber hier und da fallen bereits einzelne meist trockene herunter und stellen gefährliche Geschosse dar. Als das Nachbarmädchen dieser Tage bei mir den Vorplatz fegte, knallte eine solche Nuss direkt vor ihr herunter. Das regte sie nicht sehr auf, - es passiert hier des öfteren. Etwas später ging ein solches Geschoss direkt neben mir herun­ter, als ich das Zimmer verließ, was mich nicht ganz so ruhig ließ. Ich entschied mich, zukünftig nur noch mit einem Blick nach oben hinauszugehen.

Nach ein paar Tagen tauchte am frühen Vormittag bei mir ein drahtiger gedrungener Mann mittleren Alters auf, um die Palme abzuernten. Schnell holte ich den Fotoapparat, und ehe ich mich versah, kletterte er auch schon in unglaublicher Behändigkeit mit Hilfe eines zwischen die beiden Füße gespannten kräftigen ringförmigen Leinenbandes nach oben und warf, ohne auf mich zu achten, mir die Nüsse mit lautem Krachen vor die Füße. Erst geschah das einzeln, doch dann kam mit dem Geräusch einer Bombe eine ganze Traube herunter. Er suchte immer trockene Nüsse aus, die ande­ren noch nicht reifen ließ er hängen. Außerdem befreite er die Bäume von vertrockneten Blättern.

Nun kamen von allen Seiten die Nachbarn herbei gestürzt. Sie prüften vor allem, ob sich nicht doch schon reife, mit Saft gefüllte Früchte dabei befanden, was vereinzelt tatsächlich der Fall war. Als der Mann verschwitzt vom Baum herunterkam, haute er diese mit seinem kräftigen Hackmesser auf und gab sie den Findern zum Austrinken. Danach stieg er in ähnlicher Weise auf viele andere Bäume in der Nachbarschaft, wo ebenfalls solche Geschosse und Bomben unten aufschlugen, und dann auch bei den anderen Klans. Insgesamt erntete er an diesem Tag 28 Kokospalmen ab. Sonst schafft er an­geb­lich sogar 35 Bäume pro Tag. Mich interessierte nun, wie viel er mit dieser bewun­dernswerten Kraftarbeit verdient. Das sind 30 Rupien pro Besteigung, also nicht einmal 50 Cent. Am Tag ent­spricht das 840 rs. bzw. 12,50 Euro, was aber wohlgemerkt nur ein Saisongeschäft ist. Allerdings folgt die Haupternte noch.

Am Abend schien wieder alles friedlich, und ich ging mit meinem Notebook zum Internetshop. Auf meinem Rückweg hatte ich kurz vor Einbrechen der Dunkelheit viel Freude mit einer Wildschwein­herde, die am Rande des Dschungel­pfades in Seelenruhe graste. Etwa ein halbes Dutzend gesunder Ferkel schien sich dort mit den bei­den Elterntieren sichtlich zu vergnügen. Das war ein anrührendes Bild. Wie schade, dass ich den Fotoapparat nicht dabei habe, dachte ich.

Etwa eine halbe Stunde später hörte ich bei mir ein wildes Hundegebell etwas außerhalb unseres Wohngebietes im Halbdunkel, das sich binnen kurzem immer weiter steigerte. Mehr und mehr Hunde schienen dazu zu kommen, es klang absolut gefährlich, artete zu einem wilden Geheul aus. Dann plötzlich ertönte ein mark­durch­drin­gen­der Schrei eines Tieres, der lange anhielt, immer schrecklicher, gewiss über eine Minute, bis er plötzlich verstummte. Mir kam sofort in den Sinn, dass dort eines der kleinen Ferkel grausam zu Tode gebissen worden war. Dann wiederholte sich dasselbe noch einmal, wieder derselbe lange Todeskampf, - ein schriller anhaltender Schrei, den man nicht so schnell vergisst.

Ich erkundigte mich später, ob meine Interpretation stimmte, was leider der Fall war. Ja, die Leute müssten doch hier von irgendetwas leben. Das sei völlig normal. Was nicht alles als normal ange­sehen wird in der Welt ! Ich dachte daran, wie die heiligen Kühe geachtet werden. Dass Schweine genauso Tiere sind, die man achten könnte und die nach allem, was man weiß, sogar viel sensibler sind, kommt hier niemandem in den Sinn. Alles nur Konvention ! Diese Konvention ist übrigens angeblich entstanden, als man früher einmal erkannt hat, dass die Kühe bei einer wirklich kritischen Hungersnot die letzte eiserne Reserve sind, die man unbedingt bis zum letzten Moment erhalten muss.

Die Schweineherde ist seitdem nicht wiedergesehen worden. Mich wird man hier in Goa auch bald nicht mehr sehen. Wie jedes Land in der Welt ist dies ein faszinierend schönes Land, aber auch mit dunklen Flecken auf seiner Weste.

Seine Attraktivität beruht natürlich in erster Linie auf seinem guten Klima, wenn in den nördlichen Ländern Winter ist. Dieses gilt aber nur für einige Monate. Dann folgt eine drückend heiße Zeit im April und Mai und anschließend der Monsun mit seiner alles durchdringenden Feuchtigkeit, bei der nichts richtig trocknet und fast alles zum Verschimmeln neigt, selbst in den Schränken, und sogar Mauerwerk. Das Meer soll dann so stürmisch sein, dass an Baden nicht zu denken ist und die Shacks weggeräumt werden müssen. Heute kurz vor Tagesanbruch hat es übrigens zum ersten Mal für eine Viertelstunde geregnet.

Nicht verschweigen sollte man natürlich auch den äußerst unterschiedlichen Geldwert, der uns einen gewaltigen Vorteil gibt. Die Kaufkraft liegt hier um etwa das siebenfache höher. Mit Gerech­tig­keit hat das ganz gewiss nichts zu tun.

Abschließend möchte ich, ohne Namen zu nennen, allen denen sehr herzlich danken, die mich unterstützt haben, sei es finanziell oder mit einem hervorragenden Fotoapparat oder bei der Auflösung meiner Wohnung und der Unterbringung meiner Sachen. Auch kritische Kommentare erwiesen sich als gute Unterstützung. Diese Hilfe hat eine wichtige Rolle gespielt. Nochmals: Danke !

Samstag, 9. Januar 2010

Einzelgänger und Gruppen

07.01.2010

Einzelgänger und Gruppen



Soll ich, was dieses Thema betrifft, über Goa oder über Mathematik schreiben ? Mal wieder so eine typische Rabenfrage ?

Nehmen wir Goa ! Darüber schreiben, wo sich hier die Einzelgänger mit was-auch-immer beschäftigen, oder an welchen Stellen sich die Grüpp­chen weswegen zusammenfinden ? Ach, gibt es ja alles schon ! Das ist alles großenteils sogar schon fernsehgerecht für Biedermeiers Wohnstube zum abendlichen Konsum nach der schmack­haften Haus­mannskost aufbereitet worden. Aber wen interessieren schon diese tausendmal gesehenen Berichte von irgendwelchen Abenteuerreisen nach Goa oder weiß-der-Teufel sonst wohin ? Hardy Krüger erzählt das viel lustiger als ich und hat sich auch schon in jahrzehnte­langer verdienstorientierter Arbeit damit/dafür einen Namen gemacht.

Oder nehmen wir die Mathematik ? Wie viele Einheiten, - ich meine etwa Grundbausteine, - man mindestens braucht, um einen funktionsfähigen Automaten zusam­men­zusetzen ? Automaten ? Automaten stehen doch in den Fabriken und nehmen die Arbeitsplätze weg. Und schon frage ich weiter: Wie viele solche Einheiten nötig sind, damit Rückkopplung, - worauf z.B. Nachdenken basiert, - zustande kommt ? Das ist doch eine Frechheit, nach dem Abendessen noch zu verlangen, über die Zusammenhänge von Rückkopplung und Nach­denken nachdenken zu sollen ! Oder wie viele Einheiten der genetische Code eines solchen kleinen Automaten haben muss, damit so etwas wie Intelligenz oder Vermehrung auftreten kann ? Verdammt noch mal, - das ist doch eine Frechheit, uns mit Automaten vergleichen zu wollen ! Nach dem Abendessen soll einem doch keiner mehr mit Mathe­matik oder weiß-der-Teufel mit was für noch so einem Quatsch kommen.

Was oder warum denn überhaupt noch schreiben ? Soll ich gar nicht mehr schreiben, oder nachge­ben und ganz bescheiden über Goa und die hier vorgefundene Mikrosoziologie an der Beach von Candolim oder zu Füßen der Hindu-Tempel berichten ? Zähneknirschend werde ich letzteres tun, doch ich warne bereits vor dem dann Folgenden. Die Angelegenheit ist aus meiner Outsider-Perspektive weniger erfreulich, als man/manche/frau denken mag. Ich nehme als Beispiel die Beach, weil ich dort mehr Zeit verbracht und die Situation genauer kennen gelernt habe, aber bei den Touristenattraktionen ist das im Prinzip ähnlich.

Die Beach-Soziologie besteht aus zwei Teilen: erstens dem Strandleben mit gelegentlicher Befeuchtung im Meer, und zweitens den Shacks als sozialen Treffpunkten mit gelegentlicher Nahrungseinnahme.

Zu Unterpunkt 1: Wie überall gibt es am Strand Individuen, hier meist Individualisten genannt, welche sich meistens in unmittelbarer Nähe des wässrigen Elementes ansiedeln. Sie bestehen aus zwei Teilen: erstens - ja, soll ich zuerst die Männer oder zuerst die Frauen nennen ? - und zweitens den Frauen. Bei richtigen Rezeptorverhältnissen (siehe Wikipedia) findet Paarbildung statt. Rezeptoren sind aber komplizierte Dinge und längst nicht alles, sogar nur sehr wenig, wird offengelegt. Um nur einen kleinen Eindruck zu geben, was alles eine Rolle spielt: Körpergröße, Bauchumfang, Haarfarbe, Augenfarbe, Hautbeschaffenheit, Haarwuchs, Haltung, Beweglichkeit, Muskelbildung, Fettansatz, und um die wichtigsten körperlichen Eigenschaften, nur die äußeren, abzuschließen, noch ein schüchterner Hinweis auf die sekundären, aber in der Vorstellung von vielen höchst primären Geschlechtsmerkmale; sodann aber noch die lange, lange Skala von nur schwer ersichtlichen Merkmalen der Umweltprägung durch Herkunft (Unterunterpunkt 1 ist die Familie, sodann der Herkunftsort, drittens „der“ Beruf, und dann gewiss noch weitere Punkte; die Anführungszeichen sind natürlich ein diskreter, aber arroganter Hinweis darauf, dass solch ein schräger Typ wie ich ein halbes Dutzend Berufe hat).

An der in meinen trockenen Abhandlungen einmaligen Länge des Absatzes erkennt man, wie komplex die Sache ist. Es dürfte daraus verständlich sein, dass neue Paarbildung unmittelbar am Meer nur selten eintritt. Wegen der geringen Bekleidung ist die Nichtkompatibilität vieler Rezepto­ren sofort ersichtlich. Außerdem behindern in Goa der nicht unerhebliche und geräusch­volle Wel­len­schlag und die den Geist vernebelnde Sonneneinstrahlung sowie Sprachprobleme den üblichen Vorgang. Da ferner die meisten hier sich Herumtreibenden diese Behinderung entweder sich nicht bewusst machen oder nicht zugeben wollen, wird nur wenig Kontakt gesucht. Nähe­rer Kontakt wird abgelehnt, was durch übermäßige Hingabe an die kräftige Sonneneinstrahlung bei geschlossenen Augen kundgetan oder kompensiert wird.

Wer mich kennt, den wird es nicht verwundern, dass das Alter als wichtiger Faktor überhaupt nicht erwähnt wird. Über diese Frage bestehen so grundlegende Diskrepanzen, über welche ich bereits an anderer Stelle geschrieben habe, dass es sinnlos erscheint, weiter darüber zu reden. Dieses Tabu wurde angeblich nur einmal von einer gewissen Julia an einem abgelegenen See gebrochen, sonst scheinbar nirgend­wo. Die Strandleute in Goa haben davon natürlich keine Ahnung und reagieren gegen Unmenschen mit größerem Altersunterschied gnadenlos.

Ich vergaß zu sagen, dass es zwischen den Einzelgängern nahe am Wasser und den Shacks noch eine Zwischenreihe gibt, die trotz ihrer (Verzeihung, wenn ich mich sehr subjektiv äußere !) Lang­weiligkeit nicht vergessen werden sollte. Dort stehen Holzliegen, auf denen sich Pärchen und Fami­lien, also Leute mit Phobien vor Einzelgängern, breit machen. Sie kommunizieren, von seltenen Aus­nahmen abgesehen, nur untereinander. Jeder von ihnen meint natürlich, eine solche Ausnahme zu bilden, aber das scheint mir eine freche Lüge zu sein.

Zur Historie dieser Gruppen ist folgendes zu sagen. Noch vor einigen Jahren sollen diese sich vor allem aus Sannyasins, Hippies und Kiffern (womit alle Arten von Drogenab­hängigen gemeint sind) zusammengesetzt haben. Diese drei Urgruppen am Strande von Candolim sind ver­schwunden. Jetzt lässt sich das Beachpeople nur noch nach Nationalitäten unterscheiden. Es gibt kaum Querverbin­dungen zwischen den einzelnen, im wesentlichen nach Sprache sortierten Gruppen.

Um zu zeigen, wie sich innerhalb der Nationalitäten die Verhältnisse verschoben haben, nur kurz zwei Zahlen aus der zu Jahresende veröffentlichten Statistik: In Goa befinden sich etwa 1400 deutsche Touristen, aber zum Beispiel über 25000 russische. In Candolim ist der Unterschied nicht ganz so krass, woanders dafür noch umso mehr. Die englischsprachigen Touristen (etwa zur Hälfte Engländer, je ein Viertel US-Amerikaner und Übrige, darunter Australier, Südafrikaner) tun sich natürlich hinsichtlich der Sprache leichter und haben deswegen noch die meisten Kontakte. Sie grüßen Leute aus anderen Ländern sehr freundlich und zeigen sich interessiert. Am anderen Ende der Skala liegen die meisten Russen. Sie reden mit niemandem, grüßen nicht und interessieren sich ausschließlich für alle Arten von Business. Es gibt jedoch unter ihnen eine kleine Gruppe, die sich genau umgekehrt verhält, - eine klare Folge der Umwälzungen in jenem Lande. Diese Teilgruppe spricht fließend mindestens eine Fremdsprache, ist sehr aufgeschlossen und kommt immer mit einem munteren „Hallo“ daher. Die Leute aus den romanischen Ländern liegen irgendwo dazwi­schen und reden hauptsächlich über das Essen.

Und die Inder ? Ja, das ist ein ganz spezieller Fall. Sie tauchen hier nur zur Urlaubszeit am Jahres­ende in Massen auf. Im Prinzip verhalten sie sich ähnlich wie die Russen, auch was einen kleinen Teil von aufgeschlossenen Menschen betrifft. Doch ihr wesentliches Charakteristikum hier am Meer ist ihr Badeverhalten, das dem europäischen diametral zuwiderläuft. Während die Goaner überhaupt nicht baden und nur zum Fischen an den Strand kommen, und während die meisten der dunkelhäu­ti­gen Händ­ler, die dort bunte Stoffe oder andere Manufakturartikel verkaufen und meistens aus der Gegend um Hyderabad stammen, zum Meer ebenfalls ein sehr gestörtes Verhältnis haben, wagen sich die Großstadt-Inder bereits ins Wasser, jedoch meist „normal“ bekleidet, also ohne Badebe­klei­dung, und maximal allenfalls bis zum Bauchnabel. Nur eine kleine Minderheit weicht davon ab, die Weiblichkeiten oft in sehr schöner Badekleidung, die Männer häu­fig in für unser Gefühl eher ordi­nä­rer Kostümierung. Entsprechend verhalten sich Weiblein und Männlein auch völlig verschieden, - die Frauen sehr zurückhaltend und die Männer nicht selten aufdringlich. Schwimmen können fast alle nicht.

Und endlich der Unterpunkt 2, das „soziale“ Leben in den Shacks: Dieses hat sich mit dem Eintref­fen des großen Touristenstroms zum Jahresende ebenfalls völlig verändert, - ­nicht nur das Leben in den Shacks, sondern auch die Shacks selber. Während sich „mein“ Shack bis zum 15. Dezem­ber oben auf den Dünen befand, wo ein absolut amüsantes kontaktreiches Leben herrschte, war er buch­stäblich über Nacht in den oberen Strandbereich verlegt worden. In bienenemsiger, großenteils nachts durchgeführter Arbeit entstand in 2 -3 Tagen ein geräumiges Gebäude aus Bambusstangen, Palmenblättern und einigem Accessoire, beispielsweise einer in wenigen Stunden mit Schläuchen und Drähten geschaffenen Wasser- und Stromversorgung. Außenherum wurde ein Girlande aus nachts hübsch aussehenden Lämpchen gehängt, Lampions baumelten von der Decke, und die neue Küche produzierte auf Anhieb all die auf der durchaus umfangreichen Speisekarte vermerkten Gerichte. Das war schon eine erstaunliche logistische Leistung. Kaum aber stand dieser neue Shack und funktionierte nahezu perfekt, da wurde von demselben Leuten gleich daneben auf der anderen Seite des Durchgangs­weges zur Beach noch ein zweiter fast identischer solcher Shack errichtet, wiederum in 2 – 3 Tagen und ähnlich ausgestattet.

Alles wunderschön, doch der Reiz des alten Shacks ist völlig dahin. Touristenmassen bevölkern nun alle beide Shacks, die, obwohl sie viel größer der frühere sind, von derselben Zahl von Bedienungs­kräften wie bisher versorgt werden. Diese stammen ziemlich ausnahmslos aus Nepal und stampfen etwa 15 Stunden am Tag unermüdlich und eigentlich immer freundlich durch den Sand, der den Boden bildet, - genauso wie vermutlich in ihrer Heimat durch den Schnee. Sie sprechen nicht Kon­kani, sondern außer Nepalesisch recht gut Englisch und Hindi, und manche schnappen in unglaub­licher Schnelligkeit auch für sie relevante Worte aus vielen anderen Sprachen auf. Sie arbeiten hier hart sechs Monate im Jahr, die übrige Zeit verbringen sie in ihrer Heimat.

Die Touristen bilden kleine oder größere Reisegruppen, jeweils aus ihrem eigenen Land, lassen sich dauernd neue Leckereien auf ihren Teller packen, und sehen selten über ihren Tellerrand hinaus. Die Italiener reden pausenlos über das Essen und erzählen damit zusammenhängende Geschichten. Die Russen dagegen kennen kein anderes Thema als ihr Business, wobei altersmäßig streng einheitliche Männergruppen vorherrschen. Sie entfalten vor allem im Baugewerbe eine nicht immer legale Tätig­keit. Kürzlich wurden eine Reihe nicht legaler russischer Gebäude von den Goanern unter star­kem Polizeischutz einfach wieder abgerissen. Doch die kleinere Zahl russischer Frauen zieht, wie immer wieder zu mir durchdringt, oft sehr viel geschickter die Fäden, vor allem als Managerin­nen oder Reiseleiterinnen im Tourismus.

Allen gemeinsam aber ist ihr geringes Interesse an Menschen aus anderen Ländern. Da lässt so ein ans Umherflattern gewöhnter Rabe schon traurig den Kopf hängen. Er wird nicht mehr, wie früher in dem Shack oben auf den Dünen, zu Anderen an den Tisch gebeten, kann und will sich auch nicht einfach selbst zu diesen geschlossenen Touristengruppen setzen, und zieht sich zurück.

Er kann sich natürlich an einen anderen Futterplatz begeben, worüber noch in der folgenden letzten Geschichte aus Goa zu erzählen ist. Doch ebenso gern überlegt er sich allein in seinem Zimmer, wie ähnlich eigent­lich die einfachsten Automaten, die man mathematisch beschreiben kann, mit den Touristengruppen sind. Ich will mich hier nicht über Einzelheiten wie die Zahl der nötigen Erkennungselemente (Re­zep­toren) in den einzelnen Grundelementen und über die nötige Zahl von Grundelementen, damit sich ein Automat ergibt, auslassen. Aber insgesamt entsteht sehr schnell die ziemlich ernüch­ternde Einsicht, dass auch die Menschen in einer solchen einfachen Umgebung sehr einfache „Ele­mente“ darstellen, die sich ab einer gewissen Zahl zu Gruppen zusammenschlie0en, welche wie Automaten agieren.

Sehr einfache Elemente und Automaten haben auch sehr einfache Rückkopplungsmechanismen. Wenn der Rabe sich mit seinen einigermaßen sprachgeschulten Ohren, welche zwar leider nicht mehr ganz so gut wie einst im Mai funktionieren, anhört, worüber dort geschnattert wird, oder wenn er mit seinen in der Dämmerung insbesondere beim Gegenlicht der vielen Lämpchen im Shack nicht mehr ganz so funktionsfähigen Augen die gleichförmig gestylten Gruppen anschaut, dann kann er nur seine Federn schütteln und davonfliegen. Ja, nach Thailand !



Soll ich, was dieses Thema betrifft, über Goa oder über Mathematik schreiben ? Mal wieder so eine typische Rabenfrage ?

Nehmen wir Goa ! Darüber schreiben, wo sich hier die Einzelgänger mit was-auch-immer beschäftigen, oder an welchen Stellen sich die Grüpp­chen weswegen zusammenfinden ? Ach, gibt es ja alles schon ! Das ist alles großenteils sogar schon fernsehgerecht für Biedermeiers Wohnstube zum abendlichen Konsum nach der schmack­haften Haus­mannskost aufbereitet worden. Aber wen interessieren schon diese tausendmal gesehenen Berichte von irgendwelchen Abenteuerreisen nach Goa oder weiß-der-Teufel sonst wohin ? Hardy Krüger erzählt das viel lustiger als ich und hat sich auch schon in jahrzehnte­langer verdienstorientierter Arbeit damit/dafür einen Namen gemacht.

Oder nehmen wir die Mathematik ? Wie viele Einheiten, - ich meine etwa Grundbausteine, - man mindestens braucht, um einen funktionsfähigen Automaten zusam­men­zusetzen ? Automaten ? Automaten stehen doch in den Fabriken und nehmen die Arbeitsplätze weg. Und schon frage ich weiter: Wie viele solche Einheiten nötig sind, damit Rückkopplung, - worauf z.B. Nachdenken basiert, - zustande kommt ? Das ist doch eine Frechheit, nach dem Abendessen noch zu verlangen, über die Zusammenhänge von Rückkopplung und Nach­denken nachdenken zu sollen ! Oder wie viele Einheiten der genetische Code eines solchen kleinen Automaten haben muss, damit so etwas wie Intelligenz oder Vermehrung auftreten kann ? Verdammt noch mal, - das ist doch eine Frechheit, uns mit Automaten vergleichen zu wollen ! Nach dem Abendessen soll einem doch keiner mehr mit Mathe­matik oder weiß-der-Teufel mit was für noch so einem Quatsch kommen.

Was oder warum denn überhaupt noch schreiben ? Soll ich gar nicht mehr schreiben, oder nachge­ben und ganz bescheiden über Goa und die hier vorgefundene Mikrosoziologie an der Beach von Candolim oder zu Füßen der Hindu-Tempel berichten ? Zähneknirschend werde ich letzteres tun, doch ich warne bereits vor dem dann Folgenden. Die Angelegenheit ist aus meiner Outsider-Perspektive weniger erfreulich, als man/manche/frau denken mag. Ich nehme als Beispiel die Beach, weil ich dort mehr Zeit verbracht und die Situation genauer kennen gelernt habe, aber bei den Touristenattraktionen ist das im Prinzip ähnlich.

Die Beach-Soziologie besteht aus zwei Teilen: erstens dem Strandleben mit gelegentlicher Befeuchtung im Meer, und zweitens den Shacks als sozialen Treffpunkten mit gelegentlicher Nahrungseinnahme.

Zu Unterpunkt 1: Wie überall gibt es am Strand Individuen, hier meist Individualisten genannt, welche sich meistens in unmittelbarer Nähe des wässrigen Elementes ansiedeln. Sie bestehen aus zwei Teilen: erstens - ja, soll ich zuerst die Männer oder zuerst die Frauen nennen ? - und zweitens den Frauen. Bei richtigen Rezeptorverhältnissen (siehe Wikipedia) findet Paarbildung statt. Rezeptoren sind aber komplizierte Dinge und längst nicht alles, sogar nur sehr wenig, wird offengelegt. Um nur einen kleinen Eindruck zu geben, was alles eine Rolle spielt: Körpergröße, Bauchumfang, Haarfarbe, Augenfarbe, Hautbeschaffenheit, Haarwuchs, Haltung, Beweglichkeit, Muskelbildung, Fettansatz, und um die wichtigsten körperlichen Eigenschaften, nur die äußeren, abzuschließen, noch ein schüchterner Hinweis auf die sekundären, aber in der Vorstellung von vielen höchst primären Geschlechtsmerkmale; sodann aber noch die lange, lange Skala von nur schwer ersichtlichen Merkmalen der Umweltprägung durch Herkunft (Unterunterpunkt 1 ist die Familie, sodann der Herkunftsort, drittens „der“ Beruf, und dann gewiss noch weitere Punkte; die Anführungszeichen sind natürlich ein diskreter, aber arroganter Hinweis darauf, dass solch ein schräger Typ wie ich ein halbes Dutzend Berufe hat).

An der in meinen trockenen Abhandlungen einmaligen Länge des Absatzes erkennt man, wie komplex die Sache ist. Es dürfte daraus verständlich sein, dass neue Paarbildung unmittelbar am Meer nur selten eintritt. Wegen der geringen Bekleidung ist die Nichtkompatibilität vieler Rezepto­ren sofort ersichtlich. Außerdem behindern in Goa der nicht unerhebliche und geräusch­volle Wel­len­schlag und die den Geist vernebelnde Sonneneinstrahlung sowie Sprachprobleme den üblichen Vorgang. Da ferner die meisten hier sich Herumtreibenden diese Behinderung entweder sich nicht bewusst machen oder nicht zugeben wollen, wird nur wenig Kontakt gesucht. Nähe­rer Kontakt wird abgelehnt, was durch übermäßige Hingabe an die kräftige Sonneneinstrahlung bei geschlossenen Augen kundgetan oder kompensiert wird.

Wer mich kennt, den wird es nicht verwundern, dass das Alter als wichtiger Faktor überhaupt nicht erwähnt wird. Über diese Frage bestehen so grundlegende Diskrepanzen, über welche ich bereits an anderer Stelle geschrieben habe, dass es sinnlos erscheint, weiter darüber zu reden. Dieses Tabu wurde angeblich nur einmal von einer gewissen Julia an einem abgelegenen See gebrochen, sonst scheinbar nirgend­wo. Die Strandleute in Goa haben davon natürlich keine Ahnung und reagieren gegen Unmenschen mit größerem Altersunterschied gnadenlos.

Ich vergaß zu sagen, dass es zwischen den Einzelgängern nahe am Wasser und den Shacks noch eine Zwischenreihe gibt, die trotz ihrer (Verzeihung, wenn ich mich sehr subjektiv äußere !) Lang­weiligkeit nicht vergessen werden sollte. Dort stehen Holzliegen, auf denen sich Pärchen und Fami­lien, also Leute mit Phobien vor Einzelgängern, breit machen. Sie kommunizieren, von seltenen Aus­nahmen abgesehen, nur untereinander. Jeder von ihnen meint natürlich, eine solche Ausnahme zu bilden, aber das scheint mir eine freche Lüge zu sein.

Zur Historie dieser Gruppen ist folgendes zu sagen. Noch vor einigen Jahren sollen diese sich vor allem aus Sannyasins, Hippies und Kiffern (womit alle Arten von Drogenab­hängigen gemeint sind) zusammengesetzt haben. Diese drei Urgruppen am Strande von Candolim sind ver­schwunden. Jetzt lässt sich das Beachpeople nur noch nach Nationalitäten unterscheiden. Es gibt kaum Querverbin­dungen zwischen den einzelnen, im wesentlichen nach Sprache sortierten Gruppen.

Um zu zeigen, wie sich innerhalb der Nationalitäten die Verhältnisse verschoben haben, nur kurz zwei Zahlen aus der zu Jahresende veröffentlichten Statistik: In Goa befinden sich etwa 1400 deutsche Touristen, aber zum Beispiel über 25000 russische. In Candolim ist der Unterschied nicht ganz so krass, woanders dafür noch umso mehr. Die englischsprachigen Touristen (etwa zur Hälfte Engländer, je ein Viertel US-Amerikaner und Übrige, darunter Australier, Südafrikaner) tun sich natürlich hinsichtlich der Sprache leichter und haben deswegen noch die meisten Kontakte. Sie grüßen Leute aus anderen Ländern sehr freundlich und zeigen sich interessiert. Am anderen Ende der Skala liegen die meisten Russen. Sie reden mit niemandem, grüßen nicht und interessieren sich ausschließlich für alle Arten von Business. Es gibt jedoch unter ihnen eine kleine Gruppe, die sich genau umgekehrt verhält, - eine klare Folge der Umwälzungen in jenem Lande. Diese Teilgruppe spricht fließend mindestens eine Fremdsprache, ist sehr aufgeschlossen und kommt immer mit einem munteren „Hallo“ daher. Die Leute aus den romanischen Ländern liegen irgendwo dazwi­schen und reden hauptsächlich über das Essen.

Und die Inder ? Ja, das ist ein ganz spezieller Fall. Sie tauchen hier nur zur Urlaubszeit am Jahres­ende in Massen auf. Im Prinzip verhalten sie sich ähnlich wie die Russen, auch was einen kleinen Teil von aufgeschlossenen Menschen betrifft. Doch ihr wesentliches Charakteristikum hier am Meer ist ihr Badeverhalten, das dem europäischen diametral zuwiderläuft. Während die Goaner überhaupt nicht baden und nur zum Fischen an den Strand kommen, und während die meisten der dunkelhäu­ti­gen Händ­ler, die dort bunte Stoffe oder andere Manufakturartikel verkaufen und meistens aus der Gegend um Hyderabad stammen, zum Meer ebenfalls ein sehr gestörtes Verhältnis haben, wagen sich die Großstadt-Inder bereits ins Wasser, jedoch meist „normal“ bekleidet, also ohne Badebe­klei­dung, und maximal allenfalls bis zum Bauchnabel. Nur eine kleine Minderheit weicht davon ab, die Weiblichkeiten oft in sehr schöner Badekleidung, die Männer häu­fig in für unser Gefühl eher ordi­nä­rer Kostümierung. Entsprechend verhalten sich Weiblein und Männlein auch völlig verschieden, - die Frauen sehr zurückhaltend und die Männer nicht selten aufdringlich. Schwimmen können fast alle nicht.

Und endlich der Unterpunkt 2, das „soziale“ Leben in den Shacks: Dieses hat sich mit dem Eintref­fen des großen Touristenstroms zum Jahresende ebenfalls völlig verändert, - ­nicht nur das Leben in den Shacks, sondern auch die Shacks selber. Während sich „mein“ Shack bis zum 15. Dezem­ber oben auf den Dünen befand, wo ein absolut amüsantes kontaktreiches Leben herrschte, war er buch­stäblich über Nacht in den oberen Strandbereich verlegt worden. In bienenemsiger, großenteils nachts durchgeführter Arbeit entstand in 2 -3 Tagen ein geräumiges Gebäude aus Bambusstangen, Palmenblättern und einigem Accessoire, beispielsweise einer in wenigen Stunden mit Schläuchen und Drähten geschaffenen Wasser- und Stromversorgung. Außenherum wurde ein Girlande aus nachts hübsch aussehenden Lämpchen gehängt, Lampions baumelten von der Decke, und die neue Küche produzierte auf Anhieb all die auf der durchaus umfangreichen Speisekarte vermerkten Gerichte. Das war schon eine erstaunliche logistische Leistung. Kaum aber stand dieser neue Shack und funktionierte nahezu perfekt, da wurde von demselben Leuten gleich daneben auf der anderen Seite des Durchgangs­weges zur Beach noch ein zweiter fast identischer solcher Shack errichtet, wiederum in 2 – 3 Tagen und ähnlich ausgestattet.

Alles wunderschön, doch der Reiz des alten Shacks ist völlig dahin. Touristenmassen bevölkern nun alle beide Shacks, die, obwohl sie viel größer der frühere sind, von derselben Zahl von Bedienungs­kräften wie bisher versorgt werden. Diese stammen ziemlich ausnahmslos aus Nepal und stampfen etwa 15 Stunden am Tag unermüdlich und eigentlich immer freundlich durch den Sand, der den Boden bildet, - genauso wie vermutlich in ihrer Heimat durch den Schnee. Sie sprechen nicht Kon­kani, sondern außer Nepalesisch recht gut Englisch und Hindi, und manche schnappen in unglaub­licher Schnelligkeit auch für sie relevante Worte aus vielen anderen Sprachen auf. Sie arbeiten hier hart sechs Monate im Jahr, die übrige Zeit verbringen sie in ihrer Heimat.

Die Touristen bilden kleine oder größere Reisegruppen, jeweils aus ihrem eigenen Land, lassen sich dauernd neue Leckereien auf ihren Teller packen, und sehen selten über ihren Tellerrand hinaus. Die Italiener reden pausenlos über das Essen und erzählen damit zusammenhängende Geschichten. Die Russen dagegen kennen kein anderes Thema als ihr Business, wobei altersmäßig streng einheitliche Männergruppen vorherrschen. Sie entfalten vor allem im Baugewerbe eine nicht immer legale Tätig­keit. Kürzlich wurden eine Reihe nicht legaler russischer Gebäude von den Goanern unter star­kem Polizeischutz einfach wieder abgerissen. Doch die kleinere Zahl russischer Frauen zieht, wie immer wieder zu mir durchdringt, oft sehr viel geschickter die Fäden, vor allem als Managerin­nen oder Reiseleiterinnen im Tourismus.

Allen gemeinsam aber ist ihr geringes Interesse an Menschen aus anderen Ländern. Da lässt so ein ans Umherflattern gewöhnter Rabe schon traurig den Kopf hängen. Er wird nicht mehr, wie früher in dem Shack oben auf den Dünen, zu Anderen an den Tisch gebeten, kann und will sich auch nicht einfach selbst zu diesen geschlossenen Touristengruppen setzen, und zieht sich zurück.

Er kann sich natürlich an einen anderen Futterplatz begeben, worüber noch in der folgenden letzten Geschichte aus Goa zu erzählen ist. Doch ebenso gern überlegt er sich allein in seinem Zimmer, wie ähnlich eigent­lich die einfachsten Automaten, die man mathematisch beschreiben kann, mit den Touristengruppen sind. Ich will mich hier nicht über Einzelheiten wie die Zahl der nötigen Erkennungselemente (Re­zep­toren) in den einzelnen Grundelementen und über die nötige Zahl von Grundelementen, damit sich ein Automat ergibt, auslassen. Aber insgesamt entsteht sehr schnell die ziemlich ernüch­ternde Einsicht, dass auch die Menschen in einer solchen einfachen Umgebung sehr einfache „Ele­mente“ darstellen, die sich ab einer gewissen Zahl zu Gruppen zusammenschlie0en, welche wie Automaten agieren.

Sehr einfache Elemente und Automaten haben auch sehr einfache Rückkopplungsmechanismen. Wenn der Rabe sich mit seinen einigermaßen sprachgeschulten Ohren, welche zwar leider nicht mehr ganz so gut wie einst im Mai funktionieren, anhört, worüber dort geschnattert wird, oder wenn er mit seinen in der Dämmerung insbesondere beim Gegenlicht der vielen Lämpchen im Shack nicht mehr ganz so funktionsfähigen Augen die gleichförmig gestylten Gruppen anschaut, dann kann er nur seine Federn schütteln und davonfliegen. Ja, nach Thailand !

Dienstag, 5. Januar 2010

Grenzüberschreitungen

05.01.2010

Grenzüberschreitungen



Immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht, wie sehr veränderte Lebenssituationen neue Gedan­ken­verbindungen hervorrufen. Ganz einfach: Wenn man etwas Ungewöhnliches tut, kommt man auch auf ungewöhnliche Gedanken. In der Folge habe ich dann aber auch immer wieder gemerkt, dass dieser Zusammenhang sehr schwer zu vermitteln ist. Nicht nur das, - oft bekomme ich wirklich das Gefühl, dass man diesen Zusammenhang sogar überhaupt nicht sehen will.

Guter Journalismus soll schließlich Berichterstattung und den sogenannten Kommentar deutlich von­einander trennen. Der Kommentar jedoch, - das sind im allgemeinen die eigenen Gedan­ken. Ist es wirklich so, dass die eigenen Gedanken einen viel niedrigeren Stellenwert haben als das aktuelle Geschehen ? Wenn sich aus Situationen neue Schlüsse ziehen lassen, die vielleicht eine allgemei­nere Gültigkeit haben als nur für diese betreffende Situation, dann liegt die Sache doch eigentlich sehr anders.

Als Naturwissenschaftler bin ich natürlich mehr als ein Journalist an neuen Schlüssen interessiert. Wenn ich mich also in neue Lebenssituationen begeben habe, so ist es meist viel weniger mein Anliegen gewesen, direkt über die Erlebnisse in dieser Situation zu berichten, als vielmehr über die Gedanken und Schlüsse, die mir im Zusammenhang damit gekommen sind.

Schon als ich von der Schule auf die Universität gekommen bin, haben mich weniger das einzu­trich­ternde Wissen und auch nicht die damals gewiss fragwürdigen Zustände an den Universitäten interessiert, als vielmehr die dahinter liegenden Strukturen. In der Kernphysik war es nicht so sehr dies Fach selber, sondern die Bedrohung durch die Kernwaffen in unserem Leben. So habe ich zur Biologie gewechselt und dort noch mehr das menschliche Leben gesucht, - habe mich für das Filmemachen entschieden. Diese Kette hat sich dann fortgesetzt mit dem Sprung zum Taxifahren, der mich zum Schreiben gebracht hat, und dieses Schreiben wiederum hat mich jetzt erneut in die weite Welt hinaus getrieben.

Jetzt kommen aber die Menschen und sehen in mir einfach einen unsteten Menschen. Wenn ich aber schon als Biologe etwas zur Physik und dann als Taxifahrer etwas Wissenschaftliches sagen wollte, so ist das im allgemeinen von vornherein abgelehnt worden. Schuster, bleib bei deinen Leisten, heißt es dann, und das Fenster wird geschlossen. Doch gerade bei solch eher ungewöhnlichen Über­gängen kommen einem auch ungewöhnliche und deswegen gewiss nicht unbedingt dumme Gedan­ken. Doch wer mag diese schon hören ! Damit habe ich immer wieder meine liebe Not gehabt.

Mich haben eh und je solche Grenzüberschreitungen angezogen. Mit der Zeit hat sich daraus fast so etwas wie ein Grundsatz im eigenen Leben entwickelt. Gegensätze ziehen mich an, habe ich erklärt, doch auch damit wenig Gegenliebe gefunden. Ist es nicht so, dass die Physik am besten unter Physi­kern, die Biologie am besten unter Biologen gedeiht, und die Taxifahrer sollen erst recht unter sich bleiben. Da mischt sich dann auch schon sozialer Dünkel mit ein.

Im menschlichen Bereich ist das so weiter gegangen. Andere Länder und Mentalitäten haben mich sehr angezogen, ebenso viel jüngere Partnerinnen. Und wenn ich jetzt aus Goa etwas zu den allge­meinen Grundlagen des Lebens sagen will, dann wird das von vornherein als Unsinn abgestempelt und abgetan. Soll er doch, wenn er auf einer Reise ist, von der Reise berichten, und damit basta finito Schluss alle aus !

Als in den nur allzu wahren Märchen aus „101 Nacht“ sich von mir selbst arroganterweise als nicht ganz unwichtig eingestufte naturphilosophische Randbemerkungen befanden, haben fast alle vorge­zogen, über den sexuellen Libertinismus die Nase zu rümpfen, anstatt darauf einzugehen. Dasselbe hat sich in diesen Impressionen aus Goa fortgesetzt. Kaum einer will dort naturwissenschaftliche Abschnitte lesen. Kaum ! Glücklicherweise gibt es Ausnahmen.

Doch der Reisende verkleidet sich als Rabe und fängt zu krächzen an. Und noch schlimmer: Er macht nicht nur krächz-krächz, sondern blog-blog, was eine veränderte Ei-Ablage anzeigen soll. Die dort abgelegten Eier mag sich jedoch keiner in seine Pfanne hauen. Eigentlich möchte der Rabe natürlich seine Eier in Buchform verkaufen. Da die renommierten Verlage sich jedoch nach dem Verhalten der Leser richten und letztere in keinerlei Profil passen, ist deren Antwort vielleicht sogar verständlich, dass die Produkte nicht in ihr Verlagsprofil passen.

Hinter vorgehaltener Hand sagt man vielleicht: „So ein Mist, was der da geschrieben hat !“ Und sicher ist nicht alles perfekt, was dort steht. Denn der Rabe ist auch nur ein Rabe. Doch er hat leider oder glücklicherweise doch etwas mehr Selbstbewusstsein als erwartet, weiß, dass auch kontroverse Dinge die Menschen weiterbringen und außerdem schlicht und einfach Spaß machen können, und lässt sich nicht davon abbringen, trumpft sogar noch ganz frech auf. Mal sehen, wer anbeißt ! Ob in den Kontroversen nicht doch ein schöner Teil Wahrheit steckt, der dazu geeignet ist, die Augen zu öffnen ?

Dieses Auftrumpfen äußert sich aber nicht nur in noch ungestümerem Schreiben, sondern ebenso in der Lebensführung; denn die beiden sind ja untrennbar miteinander verbunden. In dieser wird also nur recht selten das brave Besichtigen von Sehenswürdigkeiten in geführten Gruppen vorkommen, viel häufiger aber unerwartete Treffen mit völlig unbekannten Menschen. Diese Neigung mag durch­aus ein für mich auf jeden Fall positives Überbleibsel aus der Zeit als Taxifahrer sein. Honni soit qui mal y pense !

Aber wo liegen die Grenzen ? Liegen sie bereits dort, wo man die Empfindungen von anderen Men­schen verletzt ? Hiervon möchte ich mich deutlich distanzieren. Denn die Empfindungsskala von ca. sechs Milliarden Menschen variiert natürlich in weiten und mir meist unbekannten Grenzen. Darauf in jedem Falle Rücksicht zu nehmen ist ganz einfach unmöglich.

Wie steht es aber mit einer solchen Rücksichtnahme bei Menschen in der näheren Umgebung ? Auch hier ist die Sache höchst fragwürdig, weil man als außenstehende Person meist nur sehr schwer abschätzen kann, wie die Argumente zu beurteilen sind. Nur allzu häufig werden sie Aus­fluss von ideologisch oder gar fundamentalistisch fixierten Meinungen sein, deren Respektwürdig­keit nicht hinterfragt werden kann. Doch es wird im allgemeinen ein Ding der Unmöglichkeit sein, den Menschen diese ideologische Basis bewusst zu machen. Das wird meist nur in einem persön­lichem Streit enden, den man weder will, noch dass er irgendwelchen Nutzen hätte.

Das heiße Thema Thailand. Man vermutet, Bangkok sei für mich, was Frauen betrifft, besser geeig­net, - dass es aber dort auch nur die käuflichen Frauen seien, die man direkt ansprechen und sogar als Führerin zu mehrtägigen Ausflügen "m i e t e n" kann. Arme Familien verkaufen laut Pressebe­richten ihre 10-12 jährigen Mädchen u. diese landen dann in betrügerischer Weise bei Zuhältern. Kommentar: Eine hundsgemeine verbrecherische Tat. Nach der sogenannten Arbeit bleibt nur Heim­weh und Weinen. Den Sextouristen ist es egal,---sie sehen nur das l ä c h e l n d e A s i e n .

Dass es solche Auswüchse sehr massiv gibt, dürfte unbestritten sein. Aber bitte schön ! - damit möchte ich nicht in Verbindung gebracht werden. Und so muss ich nach all diesen mal wieder so schrecklich allgemeinen Ausführungen zum Schluss nun doch überraschenderweise noch einiges aus der privaten Erzählschatulle berichten.

Da schwamm ich neulich irgendwo zwischen Asien und Afrika. Neben mir befand sich als einziger ein sportlicher junger Mann, der sich als Schwede entpuppte und erzählte, er komme gerade aus Thailand. Und sofort fügte er hinzu, Thailand sei deutlich besser als Indien. Diese Meinung hatte ich in wenigen Tagen nun dreimal gehört, - mag das Zufall sein oder nicht. So bohrte ich nach: „Ach so, - die Frauen ! Aber die sind doch alle käuflich ?“ Das sei nur in den Touristenhoch­burgen so, und er ließ durchblicken, dass er im Nordosten des Landes erfolgreich erobert habe. Einige Tage später sah ich ihn am Strand beim Trommlertreffen gegen Sonnenuntergang mit einem bildschönen thailändischen Mädchen. Ich muss schon gestehen, dass mir da das Wasser im Munde zusammenlief.

Jetzt fürchte ich natürlich bissige Bemerkungen, dass ich ein klein wenig älter sei und dass . . . . ! Spielverderber ! Gemeinheit ! Also alles nur meine eigene Schwäche ? Müssen wir uns als ältere Menschen bescheiden lernen ? Knurr, knurr ! ? ! ?

Reden wir lieber von einem anderen Thema, den Prostituierten, - und ich meine die Volljährigen in Deutschland, aber nur in wenigen Fällen Deutsche. Habe ja nie wie die meisten Anderen ein Gehei­mnis daraus gemacht, dass ich des öfteren, - so etwa zehn bis zwölf Mal - zu ihnen gegangen bin und, mit einer einzigen Ausnahme, durchweg nur gute Erfahrungen gemacht habe. Unter ihnen waren hochgebildete und absolut amüsante, unglaublich schöne und zutiefst sozial eingestellte Frauen. Mehrere hatten sich aus eigenem Antrieb entschlossen, die Versorgung ihrer vaterlosen Fami­lie im Osten zu übernehmen und die Ausbildung von Familienmitgliedern zu finanzieren. Kein Zwang, betonten sie, und ein Großteil der Mädchen machte das, was sie taten, mit viel Spaß und Vergnügen, - kein Schwindel ! Also Vorsicht mit dem Moralisieren !

Vielleicht habe ich auch mehr als Andere in solchen Situationen erfahren, weil ich immer in ihrer eige­nen Sprache mit ihnen gesprochen habe. Dadurch kamen sie gerne ins Erzählen.

Und was ich jetzt tun werde, fragen jetzt gewiss alle. Keine Ahnung ! Das ist ja gerade das Interes­sante daran, wenn man sich in solch unüberschaubare Situationen allein begibt, - und kein Freund ist dabei, der einen dann doch im entscheidenden Moment zurückhält. Zunächst einmal gibt es hand­feste logistische Probleme. Was tun, damit mir nicht jemand gerade in einem interessanten Moment das übrigens hochnützliche Notebook oder den schönen Foto oder gar Dokumente stibitzt ? Allein hat man ja auch dafür nie einen Aufpasser dabei. Also zunächst einmal der dauernde Aufruf an den eigenen inneren Schweinehund, ganz schön „auf Draht zu sein“.

Auf jeden Fall werde ich mich nach der Grenzüberschreitung von Indien nach Thailand in Bangkok nicht ins erste beste oder schlechte „Puff“ begeben, son­dern möchte durch die Kanäle der Stadt „schippern“ und werde sicher ziemlich schnell die Stadt wieder verlassen.




Freitag, 18. Dezember 2009

Arabische See

22.11.2009

An der Arabischen See


Abends

an der Arabischen See.

Nein, die See ist kein See,

sie ist ein gewaltiger Ozean.

Der Mond steht mit sinkender Sichel

über dem glitzernden Wasser,

zieht es zu sich, verursacht jetzt Ebbe.

Flach ist es, weithin brechen sich die Wellen.

In der Ferne links ist der Schatten

eines gestrandeten Frachters zu sehen.

Er hieß einmal Princess,

soll wieder ans Pier geschleppt werden.

Das Licht eines Leuchtturms

huscht über alles hinweg.

Am Horizont in der Mitte

eine lange Reihe von Lichtern.

Rostige Frachter liegen auf der Reede,

einer hinter dem anderen,

auf Aufträge wartend, Sicherheit suchend.

Nicht nur Haie, auch Piraten

soll es dort geben.

In der Ferne rechts schießen

Raketen in die dunkle Höhe.

Im Nachbarort amüsiert sich

bis spät in den Abend recht wild

die wohlhabende Jugend.


Nachts

an der Arabischen See.

Die Mondsichel ist wie ein Mini-Schiff

im Meer untergegangen,

die Lampen und Kerzenlichter

der lustigen Beach-Shacks erloschen,

die Bäuche gefüllt, die Betten bezogen.

Am Strand am Rande des Weges

liegen zeltartige Hütten, mit Schilf gedeckt.

Davor stehen Liegestühle

aus Brettern und beständigem Holz.

Am Tage dienen sie den Touristen,

des Nachts sind sie mit Indern gefüllt.

Streunende Hunde umlagern sie,

die selber nichts haben.

Kühl ist es jetzt,

sie sind in Decken gehüllt,

jeder für sich.

Gibt es keine Liebe

zwischen ihnen ?

Auch ihre Kleidung scheint diese,

obwohl schön, eher zu verhindern.

Ein Rätsel bleibt, wieso

es trotzdem von Kindern

überall nur so wimmelt.


Morgens

an der Arabischen See.

Kein Mensch geht so früh

hinunter ans scheinbar glatte Meer.

Doch schnell weicht die Dunkelheit.

Die Hunde umkreisen

den neugierigen Menschen,

der, aus der Kühle kommend,

im warmen Hemd und warmer kurzer Hose

seine Füße ins warme Wasser eintaucht

und langsam weiter hinein watet..

Für andere ist er wohl von weitem

schwarz gekleidet kaum sichtbar.

Gleichmäßig rollen die Wellen

sich brechend ans Ufer heran.

Gewiss 50 Meter misst trotz Flut der Strand,

keine 5 Meter davon überspülen die Wellen.

Doch gleichmäßig hoch sind sie gar nicht.

Plötzlich rollt eine größere, voll schäumend,

auf ihn hinzu, ihn halb durchnässend.

Und dann folgt ein wahres Ungetüm, -

ist das eine kleine Tsunami ?

Verschüchert rennt er zum sandigen Strand,

doch statistische Schwankungen

gibt es zuhauf in dieser Welt.

Es ist kühl, zum ersten Mal friert er

in diesem tropischen Land.


Tagsüber

an der Arabischen See

herrscht die herrliche Normalität,

die nicht hinterfragt werden soll.

Im Shack flitzen fleißige Inder,

servieren ein frugales Frühstück.

Ein kleiner Boy bietet Zeitungen an,

Zwei Briten babbeln bedeutsames

und lachen aus vollem Herzen.

Russen reden ihre eigene Sprache,

und beobachten die Anderen schweigend.

Ist Muesli besser als Toast in der Hitze ?

Die Hauptaufgabe des Touristen ist schwitzen.

Sonnenöl und Sonnenbraten sind „in“, -

hat je ein Arzt etwas anderes geraten ?

Dann tummelt man sich in seichten Fluten,

tauchen ist für die meisten schon zu viel.

Eine Schönheit wird schnell umlagert, -

je smarter der Mann, desto besser.

In lange bunte Gewänder gehüllte Frauen

bieten genau solche Tücher an zum Kauf

und laufen mit trippelnden Schritten weiter.

Patrouillen im Jeep oder Hubschrauber

fauchen die Küste entlang.

Ob sie häufig einen Nackten fangen,

oder auf einem Scooter einen Fremden,

der kein Dokument dafür hat ?

Doch fast unbemerkt schiebt sich auf Händen

ein dunkler Krüppel den Strand entlang.

Ein Bein fehlt ganz, das andere baumelt

vor ihm, in der Luft hängend,

mit einem zu großen Fuß daran.

Behende kommt er voran,

fragt keinen um Almosen.

Wovon er lebt,

und wie er leidet, -

wer weiß das

wirklich ?